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Wilfried Steen
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Predigt am 13. Oktober 2013

Ökumene-Fest  in der Johanneskirche zu Lippstadt/Westfalen


Liebe Gemeinde hier in der Johanneskirche zu Lippstadt,

wenn sie mich als alten Pastor fragen würden, wer für mich zu den überzeugendsten und glaubwürdigsten Gestalten unserer evangelischen Kirche zählt, dann würde ich weder Bischöfe noch Präsides nennen, sondern eine weithin unbekannte Frau, Pfarrerin Dorothee Vakalis aus der evangelischen Gemeinde Thessaloniki in Griechenland. Sie sollte ursprünglich an meiner Stelle predigen.

Sie hat auch diese Predigt vorbereitet und den ungewöhnlichen Predigttext vorgeschlagen. Nun ist sie leider durch Krankheit daran gehindert, hierher nach Lippstadt zu kommen. Ich nehme ihre Gedanken in dieser Predigt auf. Dorothee Vakalis ist für mich eine Frau, die in ihrem ganzen Leben, nicht nur in ihrem Alltag als Pfarrerin, in vorbildhafter Weise ein Dasein für andere lebt. Sie stammt aus Schleswig-Holstein, studiert Theologie, geht nach Griechenland und heiratet einen Griechen. Nach ihren theologischen Examen arbeitet sie 34 Jahre lang als Pfarrerin der evangelischen Gemeinde in Thessaloniki, baut diese Gemeinde aus kleinsten Anfängen mühsam auf, vor allem mit Heiratsmigrantinnen aus Deutschland. Die finanzielle Basis ist schmal. Immer wieder wirbt sie um Spenden aus Deutschland für diese wichtige kirchliche und soziale Arbeit. Dank des Gustav-Adolf-Werkes kann die Arbeit ausgebaut werden. Nicht nur in Thessaloniki, sondern auch in Kavala entstehen Gemeindezentren. 2009 tritt sie in den Ruhestand, ist aber weiter aktiv, in der Seelsorge, in der Flüchtlingsarbeit durch die Gemeindegruppe Xenonas.

In unserem Predigttext aus dem 1. Buch Mose Kap 31 erfahren wir von einem Diebstahl. Rahel, die Lieblings-Frau des Jakob, die Aramäerin im Lande Mesopotamien. Jakob war aus dem Haus seines Vaters Isaak geflohen nachdem er dessen Segen mit einem Linsengericht erschlichen hatte…. Jakob hatte mit seinen beiden Frauen Lea und Rahel beschlossen, aufzubrechen und zurückzugehen in seine Heimat nach Kanaan. Laban der Schwiegervater und Vater der beiden Frauen jedoch wurde nicht eingeweiht sondern hintergangen, sie hatten ihre Gründe dafür….und da entschloss sich Rahel ganz allein und im Geheimen zu dieser Tat. Rahel stiehlt ihrem Vater, und damit ihrer Herkunftsfamilie, den Hausgott. Sie will sie mit auf die Reise ins Unbekannte nehmen. Wahrscheinlich war es eine etwa 10cm hohe Figur mit menschlicher Gestalt aus Bronze, die sie einpackte. Nicht einmal ihrem Mann oder ihrer Schwester erzählte sie davon. Sie, die als Zweitgeborene immer zurückstehen musste, die zwar eine große Leidenschaft von ihrem Draufgänger-Mann erfuhr, aber wenig Verständnis und Mitgefühl.

 

Hier wird eine alte Geschichte von Flucht und Verlassen erzählt, wir erfahren was Menschen auf der Flucht bewegt, wie ausgesetzt sie sind und wie bedroht.

 

Von Dorothee Vakalis und Gemeindegliedern der ev. Kirche Thessaloniki wurde im Mai 2011 die Anregung der Frauenarbeit des GAW zur Arbeit mit Flüchtlingen aufgenommen. Heiratsmigrantinnen wissen, was es bedeutet, fern der Heimat zu leben. Seitdem arbeitet das kleine Team: 5 Frauen und zwei Männer, regelmäßig im xenonas Gästehaus im Zentrum der Stadt.

Was hat sie bewegt, die Arbeit zu tun? Auch die Geschichte von Rahel, der Frau von Jakob, hat sie dazu ermutigt. Die Flüchtlingsfamilien, die im Xenonas untergebracht sind, kommen aus Afghanistan, aus Syrien und Somalia. Hier leben Menschen zwischen 80 Jahren und vier Monaten. Seit vielen Jahren sind sie auf der Flucht. Über Pakistan, über den Iran und die Türkei, über den Grenzfluss Evros zwischen Griechenland und der Türkei oder über die Ägäis. Zahir zum Beispiel hat 2 Jahre im Iran gelebt, dann 2 Jahre in der Türkei und jetzt schon 4 Jahre in Griechenland. Ein Blick zurück zu unserer Geschichte aus dem Alten Testament:

Was bedeuteten Rahel dieser mitgenommene Hausgott? Und was steht hinter ihrem mutigen und zugleich so listigen Handeln? Nicht nur beim Diebstahl, sondern auch bei dem weiteren Verleugnen ihrer Tat gegenüber ihrem erregten und bösen Vater, der ihnen nachgeritten ist, beweist sie eine ungewöhnliche Standhaftigkeit. Setzt sich einfach auf den Kamel-Sattel und schiebt ihre Menstruation vor. Ging es ihr um den Schutz durch den Hausgott auf der Reise und in der Fremde? Eine Sicherheit im Ungesicherten? Etwas zum Festhalten und in die Hand nehmen, wenn alles Vertraute dahinschwimmt? Wenn das Heimweh einen überkommt oder die Angst vor dem Unbekannten zu groß wird? (Josephus, der jüdische Historiker zur Zeit Jesu berichtet: In jenen Gegenden ist es nämlich Sitte, Götterbilder zu Hause zu haben und dieselben auf Reisen mitzunehmen (Jüd Altertümer XVIII,9,5)).

Oder gibt es neben dem religiösen und intimen auch einen rechtlichen Aspekt? Denn, so lesen wir  in jüdischen Kommentaren, wer den Hausgott in seinem Besitz hat, ist eine selbständige Familie. Hat Rahel damit für Jakob und seine Familie vorgesorgt und ihm eine Unabhängigkeit von seinem herrischen Schwiegervater Laban besorgt - ihm dem langjährigen Knecht im Hause Labans? Ist sie sogar so schlau, dass sie damit einen Anspruch auf das Familienerbe erheben möchte?

Beides erklärt den großen Ärger des Laban. Laban geht es allein um seinen Besitz. Er hat seinen Schwiegersohn betrogen und damit seine Töchter aus dem Haus vertrieben. Wenn Eltern etwas von Kindern gestohlen wird, geht es doch um in erster Linie darum, das „Warum“ zu verstehen! Aber auch Jakob fragt nicht danach, welche Motive, welche Sehnsüchte sich mit diesem Hausgott verbinden, wenn Rahel ihn mitgehen lässt.

 

Was haben Flüchtlingsfamilien im Xenonas Gästehaus nach Griechenland mitgebracht? Was wollen sie auch in der Fremde schützen und bewahren? Was brauchen sie zum Leben?  Drei Begebenheiten:

 

o   Sie haben nichts mehr aus ihrer Heimat als vielleicht einen Ring oder eine Kette, ein Kopftuch oder einen Schal - wenn die nicht auch bei den Polizeikontrollen abgenommen wurden. Das Schlimmste jedoch ist, dass sie keine Ausweise, keine Papiere keine Dokumente mehr haben, die ihre Identität und ihre Herkunft nachweisen. Deshalb sprechen wir ja auch von den Vielen Menschen „sans papiers“, ohne Papiere. Und die meisten von ihnen warten nun schon viele Jahre in Griechenland mit einer „rosa Karte“ auf ihren hoffentlich positiven Asylbescheid von der Polizei. Zahir wartet seit 4 Jahren. Das Haus, das Xenonas-Gästehaus heißt, ist ohne einen offiziellen Träger, der Besitzer, die Kommune von Thermi, einem Vorort von Thessaloniki, kümmert sich nicht bzw lässt das ganze so laufen…Aber so haben die Bewohner keine offizielle Meldeadresse, sie können keine Wohnung nachweisen und nur wer eine Meldeadresse hat, bekommt auch weitere Papiere. Und so zieht dieser papierlose Status seine Kreise… Ohne Papiere sind wir in einem fremden Land haltlos und ausgesetzt. In Griechenland werden Menschen ohne Papiere bei Razzien einfach inhaftiert. Flüchtlinge haben oft keine gültigen Papiere, weil die Polizei ihnen  nach einer abgelaufenen Frist keine neuen Papiere ausstellt. Deshalb gehen alle Flüchtlinge ohne Papiere in großer Angst und Unfreiheit durch die Straßen.

 
 

o   Dorothee Vakalis berichtet: Wir kaufen jede Woche zusammen mit einer Abordnung des Heimes Grundnahrungsmittel für die kommende Woche ein. Davon wird das Abendessen gekocht.   Sie machen eine Liste und danach wird dann eingekauft. Als ich eines der ersten Male dran war, stand auf dem Zettel Hühnerfleisch. Ich kannte einen Fleischer, selbst Armenier aus Georgien, den bat ich im Vorhinein, uns einen guten Preis zu machen. Ganz stolz kam ich mit dieser Nachricht zu den Abgeordneten von Xenonas. Ich merkte aber, wie sie rumdrucksten. Und auf meine Nachfrage sagten sie. Wie wollen nicht bei deinem Fleischer einkaufen. Ich war enttäuscht und verwirrt. Dann traute sich einer und sagte. Wir Muslime essen nur halal Fleisch. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen, ja natürlich.. Muslime essen nur geschächtetes Fleisch. Wie konnte ich das vergessen! Nun mussten wir zu Fuß durch die halbe Stadt gehen zu einem kleinen Laden eines Somaliers, der solches verkaufte. Während wir gingen und uns dabei unterhielten, sagte auf einmal Raouf: „Das ist doch gut, dass ich jetzt mit einer christlichen Priesterin gehe, um geschächtetes Fleisch zu kaufen!“ Raouf, ein Neurologe, der lange in Kabul in einem staatlichen Krankenhaus gearbeitet hat, bis ihn und seine Familie Taliban mit dem Tode drohten. Und ich, die in ihrer Geschäftigkeit auf andere Wege geführt wurde. 

 

o   Einer der Jungen  aus dem Xenonas , Haidar, wollte von einem Fotografen unbedingt vor einer Europakarte fotografiert werden. Und er zeigt dabei mit dem Finger auf Skandinavien, Schweden. Er kam mit seinen Eltern aus Syrien, jetzt geht er auf eine griechische Schule und brachte vor der Sommerpause ein tolles Zeugnis mit nach Haus. Seine Eltern sind Christen und seine Mutter trägt als einzige Frau im Haus kein Kopftuch. Ich habe dieses Foto ausgewählt für unseren gestrigen Konfirmandentag , denn hier sehen wir die große Sehnsucht aller Bewohner und Bewohnerinnen des Xenonas, ob Groß oder Klein, einen Ort zu finden, der weit weg ist von Krieg und Verfolgung, von Angst und Schrecken. Die Sehnsucht, für den eigenen Kinder ein Auskommen und ein ruhiges Leben zu ermöglichen, ist ihr größter Schatz..

 
 

Wenn Sie heute nach Haus gehen, vielleicht kommt ihnen das eine oder andere in den Sinn, was sie nie verlieren möchten, was einfach zu ihrem Leben dazu gehört und dieses Leben auch bestimmt, ihm einen Sinn verleiht. . Und dabei wird die Frage was möchte ich nicht verlieren, dann auch zu der Frage, wie geht es den Menschen unter uns damit, die so Vieles verloren haben, und die das, was ihnen geblieben ist mit großer Angst und Zittern beschützen wollen.   

 

Liebe Gemeinde hier in Lippstadt: Durch unsere Geschichte zieht sich wie ein feiner roter Faden das Hören auf die Stimme Gottes. Jakob vernimmt die Stimme Gottes und hört den Aufruf, in die Heimat zurückzukehren in seines Vaters Haus. Selbst Laban, der Aramäer mit den fremden Gottheiten, vernimmt die Stimme Gottes, des Gottes Jakobs. Gottes Stimme ist nicht exklusiv, sie ist hörbar von allen Menschen, auch jenseits von religiösen und sprachlichen Grenzen. Wenn Menschen die Stimme Gottes hören, dann kann es nicht anders sein, als dass sie auf den Weg der Versöhnung und des Friedens gesandt werden.

 

Der Hausgott übrigens wird später unter einer Eiche in Sichem vergraben, damit sie in Zukunft nicht auf Bronzefiguren, sondern nur auf Gott allein vertrauen, auf den Gott aller Völker.

 

Was lernen wir aus dieser vielschichtigen Geschichte von Jakob und Rahel?

Gott, unser Gott ist mit uns auf dem Weg! Aber nicht nur mit uns, sondern mit allen Menschen guten Willens. Auch im Angesicht der Flüchtlinge und Vertriebenen sollen wir Gott erkennen.

Möge durch unsere Arbeit, in unseren Begegnungen ein wenig von dieser grenzüberschreitenden Freundlichkeit unter den Menschen auf der Flucht erscheinen, wenn wir offen werden für das Ihre, das Verlorene und das Mitgebrachte. Dazu wollen wir beitragen. Durch unsere Gebete und durch unsere aktive Unterstützung.

 
 Amen
 





Predigt am 26. August 2012 in St. Pauli Braunschweig

8. Gebot: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten



Liebe Gemeinde!

Eigentlich geht es um eine Binsenweisheit: Du sollst nicht falsch Zeugnis reden! Ein moralisches Gebot weit über die Grenzen der Judentums und der Christenheit hinaus. Der Volksmund sagt: Lügen haben kurze Beine und: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.

In diesem Gebot geht es um unser Gewissen und in erster Linie um gerichtliche Vorgänge.Im biblischen Recht werden Augenzeugen benötigt, um einen Täter zu verurteilen: Du sollst nicht als Lügenzeuge gegen deinen Nächsten aussagen. Darum geht es. Wer als Zeuge lügt, schadet nicht nur dem Angeklagten. Er selbst wird zum Täter.

So weit zum jüdischen Hintergrund dieses Gebotes. Doch dieses Gebot hat weite Auswirkungen auf unser privates und öffentliches Leben.

Dieses Gebot möchte ich in drei Schritten auslegen:

Erster Schritt: Vollkommensein und die Gebote halten -

wahrlich eine harte Forderung an uns!

Im Buch von Maarten 't Hart „Der Flieger“ steht eine Begebenheit aus dem Konfirmandenunterricht der reformierten Kirche kurz nach dem Zweiten Weltkriege. Pastor Hindervoet unterrichtet nach dem Heidelberger Katechismus. Die Antworten müssen auswendig gelernt werden. Pastor Hindervoet stellt die Frage: Was hilft es dir aber nun, dass du dies alles glaubst?

Die Konfirmandin Machtheld antwortet: „Einen Dreck.“

Stille im Konfirmandensaal. Dann sagte das Mädchen: Herr Pastor, darf ich Sie was fragen? „Nur zu“, antwortete Pastor Hindervoet wohlwollend. „ Wenn man Juden im Haus versteckt hat und die deutsche Gestapo klingelt an der Tür, was soll man dann sagen, wenn sie fragen, ob man Juden versteckt hat?“

Darum geht es jetzt nicht, „ sagte Hindervoet einigermaßen verdutzt. „Darüber sprechen wir später.“

Ich will aber jetzt eine Antwort, sagte Machteld frostig. „Gut,“ erwiderte er, „nun, die Antwort ist ganz einfach. Man darf unter gar keinen Umständen falsches Zeugnis ablegen. Wenn die Deutschen also fragen: haben Sie vielleicht Juden versteckt, muss man antworten: Ja, hier sind Juden.“

Vielen Dank“, sagte Machteld, „ich weiß genug.“

Dieses Beispiel ist – zugegeben – extrem. Ich halte die Aussage von Pastor Hindervoet schlicht für falsch. Aber darf ich, um meinen Nächsten zu retten, auch zum Mittel der Lüge greifen?

Ich habe Probleme mit der einfachen Forderung, immer die Wahrheit zu sagen, seit ich als junger Pastor hier in der St. Pauli-Gemeinde einen Krankenbesuch bei einem Gemeindeglied in St. Vinzenz. Ich traf eine Frau mit einem Kehlkopfkrebs im fortgeschrittenen Stadium, bei der eine Verwandte zu Besuch ist. Ich erinnere mich noch: Ich war geschockt. Ich versuchte vorsichtig auf Themen wie Abschied nehmen einzugehen. Ich merkte, die Situation ist gespannt. Als ich wieder gehe, kommt die Verwandte hinter mir her und beschimpft mich auf dem Gang: Sind sie wahnsinnig, dieser Frau alle Hoffnung zu nehmen. „Ich versuche dies seit Tagen und Sie kommen hier rein und klatschen ihre die Wahrheit um die Ohren wie einen nassen Waschlappen.!“ Noch heute erinnere ich mich daran. Was war falsch? Die Wahrheit konnte die Verwandte nicht ertragen. Vielleicht die Patientin? Ich weiß es nicht. Aber ich wollte nicht falsch Zeugnis reden. Im Gedächtnis ist mir geblieben: Mir ist es nicht gelungen, Gottes Liebe an eine Sterbenskranke weiterzugeben. Wenn ich diesen Aufruf Jesu aus der Bergpredigt höre, wir sollen vollkommen sein, wie unser Vater im Himmel vollkommen ist, dann denke ich: Gott, nimm meinen Mist an, meine Fehler, mein Versagen in meinem Beruf als Pastor.

Angesichts solcher Beispiele können wir nur feststellen: Die Frage nach der Wahrheit ist nicht immer klar und eindeutig zu beantworten. Ich muss auf Gott vertrauen, dass er mir die richtigen Worte gibt und mir zur Wahrheit hilft.

Zweiter Schritt: 8. Gebot - Die Wahrheit um jeden Preis aussprechen?

Die Tragweite dieses 8. Gebotes zeigt sich aber nicht nur in Ausnahmesituationen, sondern in unserem Alltag.

Vielleicht kennen Sie den Spruch: Wer seine Freunde möglichst schnell loswerden will, sollte ihnen auf jeden Fall stets die Wahrheit ins Gesicht sagen. 

Aus vielen Krisengesprächen in Gemeinde- und Betriebskonflikten ist mir deutlich, aus Gesprächen mit Mitarbeitern, die sich gemobbt fühlten ist mir klar: Verschleiern und Lügen hilft nicht, auch wenn ich manchmal mit Halbwahrheiten leben muss Aber die Wahrheit ist ziemlich schmerzhaft und kann Beziehungen enorm belasten.

Aber andererseits: Was ist eine Freundschaft wert, in der wir nicht offen und glaubwürdig sein können?

Dritter Schritt: Glaubwürdigkeit und Vertrauen sind Grundlage unserer Gesellschaft

Es ist so um 1983. Mit dem Amt für Jugendarbeit der Landeskirche fahren wir mit einer Besuchergruppe in den Versuchsschacht Asse ein. Wir werden durch das Bergwerk geführt, sehen die Fässer mit Atommüll in eine Grube gekippt und halb mit Salz bedeckt. Dann sehen wir an einigen Stellen Wasser aus der Wand des Stollens treten. Wir fragen unseren Führer: Kann das nicht gefährlich werden? Ich erinnere mich noch an sein mildes Lächeln über so viel Unverstand: Wissen Sie, so etwas fragen nur Menschen, die sich nicht näher mit der Lagerung im Salz befasst haben. Dies Bergwerk ist für Jahrtausende sicher. Diese Wasseraustritte sind völlig problemlos. Sie stehen mit der Oberfläche überhaupt nicht in Verbindung.

Heute wissen wir mehr über die Glaubwürdigkeit dieser Argumente.

Wir sind hinters Licht geführt worden. Vielleicht wusste auch unser damaliger Führer im Schacht nicht besser Auf jeden Fall gab es Verantwortliche, die die Gefahren kannten. Wie sie handelten, ist unverantwortlich. Wenn heute der Politik so wenig Vertrauen entgegengebracht wird, müssen wir uns nicht wundern.

Drei Schritte - drei Versuche der Konkretion des 8. Gebotes, liebe Gemeinde. Alle Begebenheiten haben etwas mit Wahrheit, Halbwahrheit und Lüge zu tun. Wie gehen wir nun damit um? Welches ist der Maßstab für uns, um mit diesem Gebot zu leben?

Vielleicht haben wir Älteren noch Luthers Erklärung dieses 8. Gebotes im Ohr:

Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir unsern Nächsten nicht belügen, verraten, verleumden oder seinen Ruf verderben, sondern sollen ihn entschuldigen, Gutes von ihm reden und alles zum besten kehren.

Eine großartige Erläuterung! Wir alle wissen, dass das nicht so einfach ist. So vollkommen, so voller Nächstenliebe ist keiner von uns, dass wir das wirklich einhalten. Auch in der Kirche selbst geht es nicht so zu!

Wie können wir normalen Menschen mit solch einem Gebot leben?

Halbwahrheiten, in denen ich mich für Fehler rechtfertige oder um Konsequenzen rumdrücke, gehören zu meinem Leben! Ich kneife davor, immer das Wort zu erheben, wenn ich merke, dass etwas falsch läuft.

Aber dennoch:

Wenn ich nicht glaubwürdig bin, betrüge ich letzten Endes meinen Nächsten um die Wahrheit. Das ist der Anfang vom Ende einer Beziehung. Das ist auch die Gefahr für unsere ganze Gesellschaft. Das ist wohl jedem von uns klar.

Die Wahrheit anderen wie einen nassen Waschlappen um die Ohren hauen, ist nicht mitmenschlich.

Das Auslegungsprinzip bei den Geboten ist denen, die schon mehrere der Predigten dieser Reihe gehört haben, nicht neu: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.

Diese Nächstenliebe zeigt sich in Glaubwürdigkeit und Vertrauen. Die sind für uns die Schlüssel zum 8. Gebot.

Eine sanfte Antwort dämpft den Zorn, eine kränkende Rede reizt zum Grimm,“ heißt es im Buch der Sprüche in der Bibel

Selbst wenn ich Kritik üben muss um der Wahrheit willen: Kritik kann weiterbringen oder aufhalten, fördern oder verletzen. Es ist alles eine Frage des „Wie". Wie lerne ich den richtigen Umgang mit meinem Gegenüber? Wie und wann sage ich ihm die Dinge so, dass es positive Impulse auslöst?

Diese Fragen muss ich lösen, daran müssen wir alle arbeiten, ob wir alt sind oder noch jung. Das ist schwer, aber nicht verzichtbar.


Mein Maßstab ist mein Gewissen. Vor ihm muss ich verantworten, was ich tun kann und was nicht. Und dann ist da noch etwas, was nicht nur für uns Christinnen und Christen wichtig ist: Wir können scheitern. Und wir scheitern auch vielfach in unseren Beziehungen. Wir müssen damit leben, dass wir nicht vollkommen sind vor Gott.

Von Jesus haben wir die Bergpredigt mit diesen aufrüttelnden Aussagen zur Feindesliebe und zur Vollkommenheit. Von Jesus aber stammt aber auch die Aussage: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.

Pastor Hindervoet aus dem Roman „Der Flieger“ hat so unrecht nicht, wenn er der Konfirmandin Machteld die Frage 59 aus dem Heidelberger Katechismus stellt: Was hilft es dir aber nun, wenn du das alles glaubst?

Wenn Machteld die Antwort richtig gelernt und verstanden hätte, wäre sie einen Schritt weitergekommen.

Die Antwort lautet:

Ich bin dadurch in Christus vor Gott gerecht Hab 2, 4
und ein Erbe des ewigen Lebens. 

Anders kann ich meinen Glauben an den liebenden Gott nicht verstehen: Dass ich angenommen bin mit all meiner Unvollkommenheit, mit meinen schrägen Kompromissen und meinen Halbwahrheiten, mit meiner mangelnden Glaubwürdigkeit. Dass ich dadurch die Kraft bekomme, immer wieder an meiner Wahrhaftigkeit zu arbeiten und dabei das achte Gebot im Kopf zu haben.

Vertrauen und Glaubwürdigkeit sind Schwestern der Wahrheit. Vertrauen und Glaubwürdigkeit führen dazu, dass wir das 8. Gebot einhalten können. Daran müssen wir arbeiten – unser Leben lang.

Amen


3, 36


 

 

Download Predigt zu Psalm 103 am 5. August 2012 in Sonnenberg und Timmerlah




Abschiedsgottesdienst des EED am 6. Juli 2012 in Bonn

Download Predigt zu Römerbrief 8,31 und zum Bild von Chagall "Die Zeit ist ein Fluss ohne Ufer"

Ich verlasse mich darauf: Weder Tod noch Leben, weder himmlische noch staatliche Mächte, weder die gegenwärtige Zeit noch das, was auf uns zukommt, weder Gewalten der Höhe noch Gewalten der Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf können uns von der Liebe Gottes trennen, die im Messias Jesus lebendig ist, dem wir gehören (Bibel in gerechter Sprache).


 

Religion auf Malta

Artikel Wilfried Steen vom August 2011:

Download Text Malta Religion



 


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